Freitag, 10. Januar 2014

"Für meinen lieben Herrn Kassierer"

Diese Geschichte möchte ich gerne mit euch teilen.

Das Bild ist schon einige Jahre alt und entstand während meines Studiums. Ich arbeitete, um mir das Studium irgendwie finanzieren zu können, bei Edeka an der Kasse. Dies wurde zwar nicht sonderlich gut bezahlt, ich hatte aber viel Kontakt mit anderen Menschen. Eine Dame stach hierbei besonders hervor: Frau Hegemann.

Frau Hegemann kam einmal in der Woche - immer samstags um Punkt 13:00Uhr. Sie war eine kleine alte Dame, die man an ihrem langen lila Mantel erkannte. Den hatte sie immer an. Außerdem trug sie auf ihrem Kopf eine goldbraune Perücke, die oft etwas zu schief auf ihrem Kopf lag. Die Perücke war stark zersauselt - manchmal fiel sie sogar runter. Trotz ihres stolzen Alters von 88 Jahren, erledigte sie alles eigenständig. Sie wog das Gemüse ab, verglich die Preise, und legte jeden ihren Einkäufe selbst auf das das Fahrband an der Kasse. Nie habe ich diese Frau verbittert oder grimmig gesehen. Selbst wenn ein ungeduldiger Kunde hinter ihr an der Kasse stand und rummoserte, sie solle doch bitte schneller machen, lächelte sie einfach und sagte: „Sie sehen, ich bin nit die schnellste, aber dat hier hält mich fit“.

Frau Hegemann wurde sehr schnell meine Lieblingskundin. Sie konnte wunderbar schöne und witzige Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, hatte aber auch immer ein offenes Ohr für meine Problemchen. Einmal erzählte ich ihr, wie ein Mädchen bei einem Date, das Restaurant verlies, nur weil ich ihr erzählte, dass ich Überraschungseier-Figuren sammeln würde. “Wer nit sammeln kann, kann auch nit sparen, mein Lieber Herr Kassierer“ war Frau Hegemanns Antwort „Jut, dat sie die verschwenderische Schrulle los sind!“

Fortan pflegte Frau Hegemann ein kleines Ritual bei mir an der Kasse. Das letzte, das sie immer auf die Kasse legte waren drei Überraschungseier. Nachdem sie die Eier bezahlt hatte, drückte sie mir eines davon in die Hand. Die anderen beiden steckte sie in ihren lila Mantel „Eins für meinen lieben Herrn Kassierer und zwei für meine beiden Enkelchen.“. Am nächsten Samstag bekam ich wieder ein Überraschungs-Ei. Am folgenden erneut. Immer sagte sie „Eins für meinen lieben Herrn Kassierer und zwei für meine beiden Enkelchen.“ Dies ging bestimmt ein halbes Jahr so. Woche für Woche. Bis Frau Hegemann auf einmal nicht mehr kam.

Ein Woche verging. Zwei Wochen vergingen. Jeden Samstag um Punkt 13:00 Uhr starrte ich zum Eingang. Doch kein lila Mantel. Keine schiefe Perücke. Es verging eine weitere Woche. Es war bereits später Nachmittag. Meine Schicht bei Edeka hatte ich beendet. Ich war zuhause und es klingelte an der Tür. Vor mir stand ein hagerer großer Kerl mit Schnauzbart und Halbglatze. Er lächelte etwas unsicher. „Sind sie Herr ... ?“ Ich nickte verhalten, denn ich ahnte, was er mir zu sagen hatte. „Mein Name ist Frank Hegemann. Ich bin der Sohn von Ruth Hegemann. Meine Mutter ist vor ein paar Wochen von uns gegangen. Ich hatte die schwere Aufgabe die Wohnung von ihr aufzulösen. Dabei habe ich das hier gefunden!“ Erst jetzt bemerkte ich die Tüte in seiner rechten Hand. Sie war voller Überraschungseier. Außerdem klebte auf ihr ein Zettel - Für meinen lieben Herrn Kassierer. „Zunächst konnten wir mit diesem Satz nichts anfangen.“ fuhr er fort „Ich habe dann bei ihrer Chefin im Edeka nachgefragt, ob es einen Kassierer gibt, den meine Mutter vielleicht damit gemeint haben könnte. Sie gab mir ihren Namen. Herr ..., meine Mutter wollte, dass sie dies hier erhalten.“ Er überreichte mir die Tüte und ohne auf meine Reaktion zu warten, verschwand er wieder.

Ich schaute mir die Überraschungs-Eier etwas genauer an. Es waren 48 Stück. Einige waren sogar schon abgelaufen. Andere nicht. Größtenteils hatten sie alle unterschiedliche Verfallsdaten. Die Überraschungs-Eier die vor mir lagen, waren keine neu gekauften. Die Überraschungs-Eier die vor mir lagen, waren ursprünglich gar nicht für mich bestimmt. Die Überraschungs-Eier die vor mir lagen, waren eigentlich für die Enkelchen bestimmt. Die Überraschungs-Eier die vor mir lagen, wurden nie von ihnen abgeholt.

Frau Hegemann hat mir eines klar gemacht: Lasst uns unsere Familie nicht vergessen. Rollt nicht die Augen, wenn sie euch eine Geschichte erzählen, die ihr schon hunderte Male gehört habt. Besucht eure Familie, eure Großeltern, genießt jede Sekunde mit ihnen. Nicht nur an Feiertagen wie Weihnachten, Ostern oder Bayram..




Hab die Geschichte auf Facebook gelesen und wollte sie teilen, damit sich der ein oder andere vllt. mal wieder an das wirklich Wichtige im Leben besinnt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen